Der mechanische Hund

Rezension zu Fahrenheit 451 aus dem Jahre 1953

Das Buch war mir von einem Freund empfohlen worden. Eine Science-Fiction-Story aus den fünfziger Jahren: Was hat die schon zu bieten, fragte ich mich. Ich lud mir die Leseprobe herunter. Schon die ersten Absätze gefielen mir. Irgendwie poetisch. Wenig später war ich vom Tiefsinn der Story beeindruckt.

Dystopie​

Bevor ich selbst zum Autor wurde, hatte ich mich mit diesem Genre nicht bewusst beschäftigt. Doch inzwischen bemühe ich mich mit wachsender Begeisterung, ihre ursprünglichen Vertreter besser kennenzulernen. An den alten Meistern verblüfft mich vor allem, wie aktuell sie sich lesen. Ein Vergnügen, welches ich für die frühen Verfilmungen dieser Stoffe leider nicht entwickeln kann. Dazu später.

Die Anti-Utopie

In dem Staat, den der Autor Ray Bradbury in Fahrenheit 451 skizziert, gilt es als Frevel, Bücher zu besitzen oder gar zu lesen. (Außerdem ist es verboten.) (Ausführliche Zusammenfassung auf Wikipedia.) Damit die Menschen nicht aus Langeweile ins Grübeln geraten – über die Ziele der Regierung oder den Zweck des eigenen Lebens beispielsweise – setzen sie sich der ständigen Berieselung mit Werbung und Unterhaltungsshows aus, die ihnen der Hörfunk und das Fernsehen rund um die Uhr liefern. Aber auch Ablenkungen wie schnelles Autofahren oder der Genuss von Drogen sind offenbar nicht strafbar. Über die Köpfe der politisch desinteressierten Menschen hinweg führt der Staat indessen Krieg gegen irgend einen imaginären Feind und es ist absehbar, dass dies letztendlich zum Untergang der Zivilisation führt.

Hat das irgendwas mit uns zu tun?

Selbstverständlich nicht – sollte man meinen. In unseren Breiten ist es mitnichten verpönt, Bücher zu lesen. Ganz im Gegenteil: Der Buchmarkt ist ein Wirtschaftsfaktor. Tagtäglich bemühen sich unzählige Verlage und eine wachsende Armee von Selbstverlegern darum, von geneigten Lesern entdeckt zu werden; mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Und das, obwohl bei uns niemand befürchten muss, für in Misskredit geratene Lektüre als Staatsfeind geächtet zu werden. Aber wie sieht es in anderen Staaten der Welt damit aus? In China, Nordkorea oder den Arabischen Emiraten beispielsweise?

Welchen geistigen Input die Mitglieder der unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten konsumieren, wird schließlich auch bei uns erfasst; aus rein wirtschaftlichem Interesse natürlich. Die Datenbanken von Google und Amazon sind genau darauf eingerichtet. – Und was treiben die Geheimdienste?

In manchen Teilen der Welt, je nach Staat, politischem System und Sozialstruktur, kann es unangenehme Folgen haben, über Lektüre, die der allgemein anerkannten Lehre widerspricht, öffentlich zu reflektieren. Befürworter eines unabhängigen Staates für Kurden oder die Unabhängigkeit der Basken, Kritiker des Islam, der Außenpolitik Israels oder der Auswüchse rücksichtslos kapitalistischen Gewinnstrebens wissen das. Wohin führt es uns, wenn sich diese Entwicklung linear fortsetzt und weiter verbreitet?

Von der Gesellschaft getragene Disziplinierung

Ein interessanter Aspekt des Romans Fahrenheit 451 ist der Umstand, dass es dort ursprünglich nicht etwa staatliche Doktrin war, den Konsum von Büchern zu unterbinden. Vielmehr ist dies das Ergebnis eines von der Allgemeinheit angestrebten Ideals. Offensichtlich wünschte sich das Volk Ruhe vor normabweichenden Auffassungen. Die Kehrseite dieser Medaille scheint nicht rechtzeitig erkannt, nicht ausreichend hinterfragt und in Folge dessen nicht entschieden genug bekämpft worden zu sein.

Was geht heute auf Facebook ab, wenn mal wieder eine konfliktschwangere Sau durchs globale Dorf getrieben wird? Ich meine bei Themen wie: Gentechnik, Homöopathie, Putin, Integration … solche Sachen. Wie gehen die, die ihren Standpunkt für den einzig richtigen und damit für unumstößliche Wahrheit halten, mit denen um, die es anders sehen? Die vorgetragenen Standpunkte scheinen absolut unvereinbar und mit den Unhöflichkeiten, die dabei ausgetauscht werden, möchte man nicht auf offener Straße konfrontiert werden; nicht, ohne Polizei in der Nähe zu wissen.

Droht uns nicht eine Vielzahl politischer und sozialer Missstände, einfach weil es einer schweigenden Mehrheit lästig ist, sich konstruktiv und mit demokratischen Mitteln dagegen zu engagieren? Lobbyismus, Fracking, TTIP, TiSA, CETA, Waffengeschäfte und die daraus resultierenden Folgen …?

Fantasie bleibt frisch, Film vergilbt

Während des Lesens empfinde ich alte Romane wie Fahrenheit 451, Schöne neue Welt von Aldous Huxley oder 1984 von George Orwell als weitgehend zeitlos. Ich stelle mir die Handlung wie einen modern gemachten Blockbuster vor. Frühe Verfilmungen dieser Stoffe zu verdauen, fällt mir dagegen schwer. Sie mögen zum Zeitpunkt ihres Erscheinens Kassenschlager gewesen sein, aus heutiger Sicht wirken sie auf mich piefig, technisch einfältig und ungeheuer langatmig. Nicht alle, aber ganz besonders der Film Fahrenheit 451, von François Truffaut. Er ist 1966 erschienen, kann es aber mit seinen Altersgenossen nicht aufnehmen. Schon 1965 hatte eine kleine Fernsehserie namens Raumpatrouille deutlich mehr drauf, und Stanley Kubricks Werk 2001 Odyssee im Weltraum von 1968 stellt sogar einen Meilenstein der Filmgeschichte dar. (Auch wenn er nach heutigem Empfinden geradezu grotesk ereignislos ist.)

Erfreulicherweise werden alte Stoffe immer wieder mal neu verfilmt und der aktuellen Auffassung angepasst. Steven Soderberghs Neuverfilmung des Science-Fiction-Klassikers Solaris von Stanislav Lem, ist ein gutes Beispiel dafür.

Der vierbeinige Roboter

In Bradburys Roman kommt eine Maschine vor, die ganz eindeutig ein Roboter ist: der mechanische Hund. Hat man dieses nicht ganz unwichtige Element in der Verfilmung von 1966 absichtlich unter den Tisch fallen lassen? Woran lag das? Weil es damals unmöglich gewesen wäre, diesen Roboter glaubhaft darzustellen?

War es dem Autor in den 50er Jahren überhaupt schon vorstellbar, wie sich eine solche Maschine technisch verwirklichen ließe? Computer in ihrer heutigen Form waren schließlich nicht in Sicht. Heutzutage wissen wir, dass Roboter sowie Video abspielende Wände nur durch das Zusammenspiel von Hard- und Software sowie die Vernetzung von Datenquellen möglich ist.

Damals, als Bradbury dieses Buch schrieb, erwartete man vom Autor vermutlich nicht, anzudeuten, wie sich eine derartige Technologie praktisch realisieren ließe. Ich zweifle daran, ob dies heute noch gilt.

Was würde ein moderner Regisseur damit anstellen?

Ich stelle mir den mechanischen Hund ganz klar wie das System AMEE aus dem Film Red Planet vor, der im Jahre 2000 gedreht wurde. Dieser Roboter ist schnell, intelligent, hinterlistig und damit unberechenbar. Mal angenommen, Fahrenheit 451 würde man neu verfilmen, dürfte etwas Entsprechendes auf keinen Fall fehlen.

Ich stelle mir vor, dass ihn der Regisseur wie ein willkommenes Angebot feiern würde. Der agile Automat würde den Protagonisten niemals zur Ruhe kommen lassen und damit, die an sich sehr gemächliche Handlung mit reichlich Action und Dramatik aufpeppen. Im Roman verfolgt der mechanische Hund den Protagonisten Guy Montag bis der ihm weit draußen vor der Stadt schließlich doch entkommt.

Heutzutage würde man also das Ding nicht unter den Tisch fallen lassen, sondern es zu einem tragenden Akteur machen, der die Story zu einem Schocker werden ließe.

Fazit

Die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen erscheinen die meisten Utopien sehr früher Science-Fiction-Autoren als technisch machbar oder gar überholt. Die Warnungen jedoch, die von frühen Dystopien ausgehen, bleiben aktuell, wenn man sie als Parabel wahrnimmt und die politischen Aspekte bedenkt. Es liegt an uns, mit Umsicht und Engagement, zu verhindern, was wir nicht erleben möchten.