Streng geheim und schrecklich

Alternative 3

Ein haarsräubendes Machwerk. Dafür über alle Maßen dystopisch. Das Buch Alternative 3 steht seit etwa zwanzig Jahren in meinen Buchregalen. Ich hatte es während dieser Zeit des Öfteren von einer Ecke in die andere geschoben und mich gefragt, warum ich es nicht in den Papierkorb werfe. Als ich es nämlich in den Neunzigern das erste mal las, brach ich es auf Seite 236 ab – immerhin erst dort –, weil mich die Story erdrückte. Ich hielt es damals für einen Tatsachenbericht, den ich weder glauben konnte noch wollte. Insgesamt erstreckt er sich über 307 Seiten.

Erst dieser Tage, als mich jemand auf ein Interview zu einem Dokumentarfilm mit dem Titel »Packing for Mars« hinwies, erinnerte ich mich wieder an das Buch. Einer der Produzenten dieses Films, Frank Jakob, gab an, der Film bezöge sich auf einen Science Fiction Roman von Leslie Watkins und David Ambrose: Alternative 3. Aha! Dachte ich. Also ist es ein Roman.

Verschwörungstheorie oder Dystopie

Googelt man das Thema Alternative 3, findet man sich sofort im Auge eines Zyklons wieder. Einem, in dem eine Verschwörungstheorie von der nächsten gejagt wird. Allerdings: Je mehr ich mich mit Dystopien beschäftige, desto überzeugter bin ich, dass beides miteinander verwandt ist. In beiden Fällen wird auf soziale oder umweltpolitische Mißstände hingewiesen, von denen jeder aufgeklärte Bürger schon gehört hat. Das erzeugt einen Plausibilitätsvorschuß für die anknüpfende Story. Die Verschwörungstheorie erhebt den Anspruch Tatsachen zu beleuchten — heftig umstrittene für gewöhnlich —, während die Dystopie warnende Aussichten auf Szenarien liefert, die unter ungünstigen Umständen zu Tatsachen werden könnten.

Tatsachenbericht oder Roman?

Also wollte ich nun dieses Buch aus meiner neuen Perspektive als Autor lesen. Schließlich habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, das Genre Dystopie eingehend zu untersuchen.

Liest man das Buch wie einen ganz normalen Roman, stellt man fest: Es erzeugt genau die gruselig-beängstigende Spannung, die man von einem dystopischen Science Fiction-Thriller erwartet.

Man wohnt den engagierten Recherchen eines investigativ geführten englischen Wissenschafts-Magazins bei, das an einer TV-Sendung über die Abwanderung signifikant vieler Wissenschaftler und Fachleute arbeitet: dem sogenannten Brain Drain. Die Redaktion findet heraus, dass viele Angaben, die die abgewanderten Menschen über ihre Pläne im Ausland gemacht haben, offensichtlich unzutreffend sind. Dort, wo sie sich hinbegeben haben wollen, sind sie nicht eingetroffen. Wo also sind sie gelandet?

Ein paralleler Handlungsstrang beleuchtet vertrauliche Treffen elitärer Köpfe aus den USA und Russland in U-Booten unter der Antarktis. Sie verständigen sich über das Vorankommen ihres gemeinsamen Projektes: Alternative 3, die streng geheime Besiedelung des Mars. Dabei handelt es sich um ein Arche-Noah-Prinzip, bei dem auserwählte Personen im Interesse des Fortbestands der Menschheit vor dem als unabwendbar geglaubten Untergang des Planeten bewahrt werden sollen.

Bezug zur politischen Realität bietet das freilich nicht. Jedenfalls nicht zur offiziellen. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass die englische Originalausgabe des Werkes von Sphere Books Ltd. auf das Jahr 1978 datiert ist. Aber da man das Buch schon in der Hand hat, fragt man sich natürlich schon: Welche Dinge spielen sich denn tatsächlich hinter der Bühne der Weltpolitik ab? Wie ist es zu werten, dass die USA Russland gegenüber mit den Säbeln rasseln, während die gute Zusammenarbeit beider Staaten im Weltraum in keiner Weise davon berührt zu sein scheint? Sind das die Staubkörnchen, an denen sich das Bewusstsein reibt, bis sich schillernde Theorien darum wickeln, Perlen, Verschwörungstheorie genannt?

Es folgen grausige Zukunftszenarien: Durch psychochirurgische Eingriffe werden jede Menge vermisste Personen willenlos gemacht und landen in Sklavenbatallionen. Es gibt spannende Dialoge von Journalisten mit ihren Informanten, sowie frevelhafte Morde, technisch ausgelöste Todesfälle oder per Fernhypnose initiierte Selbstmorde, deren wahre Ursachen von der Justiz nicht erkannt oder wenn doch, vertuscht werden. Es kommen Whistleblower vor, die um ihr Leben fürchten müssen, aber auch solche, die offen reden, weil sie sich über ihre Gefahrenlage gar nicht im Klaren sind.

Der Apollo Astronaut Bob Grodin, der in der Story zu Wort kommt, hat meines Wissens nicht existiert. Vielleicht steht er aber für eine Person, die es tatsächlich gegeben hat, was für einen solchen Roman durchaus nicht untypisch wäre.

Vorgetäuschte Authentizität?

Der Roman behauptet: Während sich die Weltbevölkerung vorgaukeln lässt, die Mondlandung zweier Astronauten sei das Innovativste, was die moderne Raumfahrt zu Wege bringen kann, gäbe es längst Raumschiffe, die reichlich Mensch und Material ohne jedes Aufsehen zum Mond und von dort aus zum Mars transportieren können und es auch tun.

Es kommen noch weitere Aspekte und Begebenheiten vor, die sich in der Science Fiction Literatur und besonders in Filmen finden. Zum Beispiel die These, dass es sich auf dem Mars, allen wissenschaftlichen Verlautbarungen zum Trotz, einwandfrei atmen ließe. Ob dies die Folge aktiven Terraformings wäre, oder von Natur aus so ist, wird nicht thematisiert. Bakterien, die durch den Einfluss des Menschen auf die Natur des Mars unerwartet zu neuem Leben erwachen und dadurch die Mission massiv gefährden, kommen allerdings vor. (Erinnert mich an den Film Red Planet.)

Auch wird eine Tragödie beschrieben, die auf dem Mond stattfindet. In dem Fall ist es der Versuch eines wagemutigen Helden, zur Sklavenarbeit verdammte Menschen befreien zu wollen. Das misslingt und führt zur Beschädigung einer offenbar sehr großen Luftschleuse, woraufhin das besiedelte Areal unter der Schutzhülle der Mondbasis explodiert und das Leben fast aller Anwesenden auslöscht.

Welcher Autor beeinflusste da wen? Wer hat wo geklaut? Oder haben da die berühmten morphogenen Felder des Forschers Sheldrake die Sporen des Gedankens verteilt?

Ein PR-Trick?

Interessant ist, dass auf dem in schlichtem Orange gehaltenen Umschlag meiner Ausgabe des Buches Alternative 3 von Roman kein Wort steht. Es ist auch nicht als Science Fiction oder Thriller ausgewiesen. Stattdessen ließt man den Untertitel: ›Der Klassiker, den sie unterdrücken wollten. Jetzt mutigerweise veröffentlicht.‹

Es gibt eine Menge Bücher über Themen, die den Autoren zufolge unterdrückt werden. Viele sind ähnlich betitelt. War das der Trick des Autors, einschlägig interessierte Leser zu gewinnen?

Als Roman unbefriedigend

Da ich von der Annahme ausgehe, dass es sich bei Alternative 3 um einen Roman handelt, finde ich, dass das Ergebnis deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Schön geschrieben ist das Buch nicht. Es wirkt eher wie das nicht ausgearbeitete Konzept zu einem Roman. Dort, wo ich Action-Szenen erwartet hätte, geht der Autor zu kurz, zu knapp und zu trocken voran, ergießt sich an anderer Stelle aber in lang anhaltenden Beschreibungen ohne treibende Handlung. Deutlich mehr Personen zu erwähnen, als man sich merken möchte, gelingt allerdings auch anerkannten Autoren. Dennoch ist es für Freunde der Dystopie wegen der Vielfalt an abenteuerlichen Ideen und Mutmaßungen äußerst spannend zu lesen. Wenn man sich hin und wieder fragt, ob an den beschriebenen Ungeheuerlichkeiten nicht doch etwas dran sein könnte, ist es sogar schauerhaft gruselig. 😉